Mich hat gestern jemand vor einer Bar angesprochen. Es hat geregnet und so haben wir übers Wetter geredet. Es war ein nettes Gespräch. Ich wäre gerne danach weitergegangen und hätte es in schöner Erinnerung behalten. Ich hätte auch nichts dagegen gehabt, wenn das Gespräch weitergegangen wäre. Bist du öfter hier? Welche Bars gefallen dir noch in der Stadt? Warum? Man hätte Gemeinsamkeiten finden können. Oder man hätte herausfinden können, dass man sich bald wiedersieht. Weil man wieder in der Bar ist oder weil man an diesem und jenem Event auch sein wird. Stattdessen ist das Gespräch abgeebbt, wie es nun manchmal so ist. Nun ist man aber nicht freundlich auseinander gegangen während man sich gegenseitig ein Lächeln geschenkt hätte. Nein, er fragte ob wir Telefonnummern austauschen wollen. Für was? Ich war total perplex, dass das jemand nach einem so kurzen Gespräch und ohne jede Begründung vorschlug, während ich darüber nachdachte, was er mit dieser Nummer denn machen wollte. Mit mir weiter übers Wetter reden? Oder einen neuen Treffpunkt vereinbaren? Beides Dinge die er sofort auch hier hätte tun können. Die einzigen Erklärungen die ich dafür finden konnte waren die folgenden: 1. er wollte ein KPI verfolgen das in der Anzahl gesammelter Telefonnummern bestand 2. er wollte auf eine Art der Kommunikation wechseln die dem Online-Dating entspricht mit den einhergehenden Regeln, weil er sich damit wohler fühlte. Was soll das? Ich war doch hier. Man konnte mit mir reden, mich auf einen Drink einladen, mit mir tanzen. Mich seinen Kumpels vorstellen, mich linksliegen lassen und schauen wie ich reagiere. Mir davon erzählen, wie toll er ist und schauen, wie meine Augen dabei anfangen zu funkeln oder sich zu verdrehen, und entsprechend das Thema anpassen. Feststellen welche Witze ich gut finde und welche nicht, mit unmittelbarem echten Feedback. Alles Dinge, die übers Chatten nicht mehr möglich sein würden. Was soll das? Liebe ist offline.
Liebe macht Spaß
Das einfachste, aber eigentlich schon hinreichende Argument gegen Online-Dating: es macht keinen Spaß. Ich sitze 8 Stunden am Tag vor dem Computer um zu arbeiten. Ich möchte in meiner Freizeit nicht weitere 2 Stunden am Tag vor dem Computer sitzen. Möchtet ihr das?
Ja, wie jede technische Innovation ist es am Anfang spannend. Wie jedes soziale Spiel ist es anziehend. Doch wenn der Rauch des Neuen verpufft ist, dann muss man es auch mal ganz nüchtern sehen, wie alles andere was uns die Technik beschert hat: Fernsehen, Computerspielen, Chatten. Alles ganz nett, aber doch hoffentlich nicht unser schönstes Hobby.
Online-Dating ist auch ein bisschen wie Fernsehen: Ja, vielleicht gibt es auch gute Programme. Aber mittlerweile ist es doch sicher kein Geheimnis der Eliten mehr, dass regelmäßiges stundenlanges Fernsehen fett und dumm macht. Also holt die Kinder vom Fernsehen weg und schickt sie nach Draußen. Nach Draußen an die frische Luft wo sie ihren Körper spüren und ihre Muskeln testen können. Wo sie sich ausprobieren und wachsen können. Wo sie sich weh tun können und daraus lernen. Wo sie hinfallen können und wieder aufstehen. Wo sie Freunde aus der Nachbarschaft und aus der ganzen Welt gewinnen können.
Und wenn ihr das getan habt, oder auch nicht, dann bitte bitte bitte, holt auch die Erwachsenen vom Computer weg und schickt sie nach Draußen. Dort wartet die Welt, das Abenteuer, die Liebe. Liebe die gesund ist, uns vorwärts bringt und Spaß macht.
Liebe bedeutet Zuversicht
Eines der merkwürdigen Phänomene im Online-Dating ist, dass Männer (und Frauen vielleicht auch, ich weiß es nicht) den Kontakt abbrechen bevor er überhaupt stattgefunden hat. Sie kontaktieren einen, und bevor man die Chance hat zu antworten, beenden sie den Kontakt wieder, auf Nimmerwiedersehen. Ich kann es mir nur so erklären, dass sie mit einer Abfuhr rechnen, und sich die selber vorwegnehmen um das Gefühl zu haben, selber zu bestimmen, was passiert. Wie dumm! Denn einerseits lügen sie sich ständig selber an. Und zweitens, nehmen sie sich von vornherein die Chance auf ein positives Ergebnis. Nicht komplett, nein, natürlich, die Frau hat ein kurzes Zeitfenster in der sie laut „Ja“ schreien kann. Nun, ich kann nicht für reflektierte und überzeugte Vertreter der Nein-heißt-Nein-Bewegung sprechen. Ich kann nur für sehr viele Frauen sprechen die über 25 sind und es nicht gewohnt sind zu jedem Angebot dass einem in erpresserischer Weise vor die Füße geschmissen wird, „Ja“ zu sagen. Egal wie toll jemand aussieht, egal wie einsam man ist, egal wie harmlos die Einladung, und selbst wenn man noch die Gelegenheit hat, darüber zu schlafen und sich mit seinen Freundinnen zu besprechen, die ganz normale Antwort ist „Nein“. Und dieses „Nein“ bedeutet eben nicht „Nein“. Es bedeutet erst einmal gar nichts.
Beim Online-Dating kann eine fehlende Antwort bedeuten, der andere ist gerade für zwei Wochen auf Urlaub und hat es noch gar nicht gesehen. Aber wie es gespielt wird, erwartet der Spieler ein augenblickliches Klingkling für den Adrenalin-Erfolgs-Kick.
Mich hat letzte Woche jemand zum Abendessen eingeladen, am Mittwoch um 19h. Eine Steilvorlage um abzusagen. Ich musste mir gar nicht lange überlegen, ob ich ihn treffen wollte oder nicht, sondern konnte einfach aufgrund meines Terminkalenders die einfachere Antwort wählen. So kann er sich einreden, dass das „Nein“ bedeutet, ich könnte nur an diesem Abend nicht. Aus seiner Sicht gibt es zwei Möglichkeiten: a) ich kann eigentlich, und das Nein bedeutet ein generelles Nein zu jedem Abendessen. Dann lügt er sich was vor. Oder b) das Nein gilt wirklich nur für diesen Abend. Dann interpretiert er es trotzdem genauso, als generelles Nein, das dann wieder vor sich selber schön geredet wird. Die ganze Herangehensweise ist auf Scheitern ausgelegt.
Quatsch sagt ihr, hätte ich wirklich wollen, hätte ich doch einen anderen Termin vorgeschlagen. Klar, so „wirklich“ wollte ich offensichtlich nicht, wenn es mir „wirklich“ so wichtig gewesen wäre. Das ist aber nicht der Punkt. Der Punkt ist, dass ich an einem anderen Tag vielleicht Ja gesagt hätte.
Ich denke dass wir alle, nicht nur Männer, durch die ganzen Me-Too-Debatten verunsichert sind. So dermaßen verunsichert, dass wir vor jedem leise gehauchten Nein oder Zögern wegrennen wie wenn wir an einen Elektrozaun gegriffen hätten. Es geht doch nicht darum, anderen unseren Willen aufzuzwingen. Es geht darum, nicht von unseren guten Absichten und unseren guten Ambitionen abzuweichen, nur weil sie nicht sofort mit Hurra begrüßt werden.
Wir sollten doch grundsätzlich davon ausgehen, dass unsere Einschätzung der Lage, und zwar dass wir ein „gutes Match“ für den anderen wären, dass wir ihm/ihr Gutes tun können, dass er/sie mit uns glücklich sein könnte, dass diese Einschätzung nicht weniger qualifiziert ist als die andere. Wir sollten doch grundsätzlich davon ausgehen, dass wenn wir Gelegenheit haben unsere Argumente vorzutragen, der Andere irgendwann froh ist dass wir ihn auf unsere Seite gezogen haben. Wir kennen die Gegenargumente noch nicht, und vielleicht sind sie temporär.
Was dieses Jahr ein Nein ist, kann nächstes Jahr ein Ja sein. Dann, wenn der Scheidungskrieg vorbei ist. Was diesen Frühling ein Nein ist, kann nächsten Herbst ein Ja sein. Dann wenn der Liebeskummer verflogen ist. Was diesen Monat ein Nein ist, kann nächsten Monat ein Ja sein. Dann wenn die Prüfung geschafft ist. Was diese Woche ein Nein ist, kann nächste Woche ein Ja sein, dann wenn das Wetter nicht mehr aufs Gemüt schlägt. Was heute ein Nein ist, kann morgen ein Ja sein, wenn man drüber geschlafen hat. Was bei der Vorspeise ein Nein ist, kann bei der Nachspeise ein Ja sein. Was an der Hausecke ein Nein ist, kann 5 Meter weiter ein Ja sein. Man muss doch einfach dranbleiben.
Liebe bedeutet Zuversicht.
Liebe ist keine Investition
Online-Dating kommt mir vor wie ein Computerspiel. Man versucht, die Regeln zu verstehen, und dann Punkte zu sammeln. Erfolgspunkte fürs eigene Ego. Auch nur noch ein Ego-Shooter. Und wenn man keine Erfolgspunkte sammelt, obwohl man so viel Zeit „investiert“, dann ist man frustriert. Haben wir eben gesagt, „investiert“? Lustig irgendwie. Eben war es noch ein Spiel, und Spiele sollten doch Spaß machen und zweckfrei sein. Doch plötzlich ist es kein Spiel mehr, plötzlich ist es eine Investition die sich rechnen muss. Wir sind schließlich erwachsen, wir können unsere Zeit nicht mit Spielen vergeuden. Das ist Zeitverschwendung. Doch wenn man das weiterdenkt, was ist dann die Investition und was ist der Gewinn? Es scheint so zu sein, dass Menschen jede Zeit die sie dem anderen Geschlecht widmen, bevor sie ihr selbst gesetztes Ziel (und ich frage mich, was das sein soll) erreicht haben, als Aufwand betrachten. Also entweder Kosten (böse) oder Investition. Dass ich Zeit am Computer die mir keinen Spaß macht, nicht als Gewinn betrachten kann, ist nachvollziehbar. Doch merkwürdig wird es in dem Augenblick, in dem wir uns offline begegnen. Hier bin ich der Ansicht, dass jede Zeit die wir mit dem anderen verbringen dürfen, Zeit ist, die der andere uns schenkt, und damit genau das ist, ein Geschenk. Sie als Investition unsererseits zu betrachten, ist schon deswegen falsch, weil unsere Zeit ja nicht wertvoller ist als die des anderen. Es klingt radikal, aber diesen Tipp möchte ich jedem jungen Menschen mit auf den Weg geben: wenn ihr euch nicht sicher ist, ob eure Zeit nicht zu wertvoll für den anderen ist, dann trifft euch nicht mit ihr. Trifft euch mit jemand anderem oder liest ein Buch. In dem Moment in dem ihr anfängt zu rechnen, lasst es einfach bleiben.
Achja, und man „investiert“ ja mehr als nur Zeit. Man macht sich hübsch wenn man denkt man müsste hübscher sein, man macht sich hässlich wenn man denkt, man müsste nahbarer sein, man nimmt ab, man nimmt zu, man färbt sich den Haaransatz, man lässt den Haaransatz raus wachsen, man nimmt sich Urlaub wenn die Arbeit sonst im Weg steht, man gibt den Urlaub ab wenn die Arbeit als Vorwand benötigt wird, man fährt wohin, man fährt woanders nicht hin, man lädt jemanden ein obwohl es das Konto nicht zulassen will, man lässt sich einladen obwohl es die Ehre nicht zulassen will, man rasiert sich um weiblicher zu sein, man rasiert sich nicht um männlicher zu sein, man duscht sich um gut zu riechen, man duscht sich nicht um nicht zu wirken als hätte man es nötig, man putzt sich die Schuhe um zu zeigen dass das Treffen etwas besonderes ist, man putzt sich nicht die Schuhe um zu zeigen dass das Treffen nichts besonders ist, man repariert das Bett damit das nicht im Weg steht, man repariert das Bett nicht, damit es im Weg steht, man lernt kochen um den anderen zu beeindrucken, man isst es selber auf um nicht den Eindruck zu erwecken, man würden das versuchen… Man kauft extra Wein um den anderen abzufüllen, man vernichtet den Vorrat wieder um den anderen nicht abzufüllen, man kauft wieder Wein, um nicht diesen Eindruck zu erwecken… die Liste ist unendlich. Was für ein Aufwand! Aber lass uns nicht den Fehler machen, es als Investition zu sehen. Wenn ihr es unbedingt so sehen wollt, dann macht bitte folgende Return On Investment-Kalkulation: Ist ein Blick in die Augen des Anderen nicht mindestens genauso wertvoll wie irgendeiner, oder auch aller, Punkte auf obiger Liste? Dann trefft ihr euch mit der falschen Person.
So oder so, hier ist, wie ich das sehe: Ein Mensch ist kein Investitionsobjekt. Was ich für jemanden tue, ist niemals Investition. Es ist vielmehr Opfergabe. Ein bescheidenes Opfer auf dem Altar der Liebe. Und jeder Mann ist ein Gott. Genau wie jede Frau eine Göttin ist. Götter schulden uns nichts. Sie tun was sie wollen. Wir können glücklich sein, an ihrer Gegenwart teilzuhaben, und können in dem wir geben, in dem wir das geben, was wir ohne zu Zögern und ohne Reue geben können, unseren Dank ausdrücken. Das ist alles.
Manche versuchen, Männern (und Frauen) Mut einzureden indem sie sie daran erinnern, dass jede Frau (oder jeder Mann) auch „nur“ ein „Mensch“ ist. Ja, vielleicht soll man nicht so viel Ehrfurcht haben, dass man in Ehrfurcht erstarrt, point taken. Aber dass man in dem Gegenüber Gott erkennt, dass man im Anderen die Göttlichkeit erkennt die jedem Menschen innewohnt, das ist doch genau das wunderbare an der Liebe. Liebe heißt Dienst an etwas Höherem.
Liebe ist so oder so offline
Ich fand mich neulich wieder in ein Gespräch verwickelt über Online-Dating. Ich brachte als Kritikpunkt ein, dass doch die Frage ob man jemanden körperlich interessant findet, oder auch nur sympathisch findet, doch auch ganz wesentlich davon abhängt, ob man sich im wahrsten Sinne des Wortes riechen kann. Darauf bekam ich als Antwort, dass das Geheimnis von erfolgreichem Online-Dating wäre, man solle nicht zuviel chatten, sondern jemanden sehr schnell live zu treffen. Denn online würde man zu wenig erfahren, zu viel Erwartungen aufbauen, und dann käme später die Ernüchterung. Oh. Das ist also das Geheimnis von Online-Dating. Man soll sich möglichst vielen möglichst schnell möglichst ohne große Erwartungen live treffen. Klingt gut… nur: Wenn ich möglichst viele möglichst ohne große Erwartungen live treffen möchte, dann könnte man das ganze doch einfach als Single-Party organisieren. Warum dann nicht einfach in eine Disco oder auf ein Stadtfest gehen? Wofür denn den Online-Dating-Schritt dazwischen? Diesem Tipp zufolge ist der Erfolg von gutem Online-Dating, den Online-Teil möglichst klein zu halten. Dann habe ich den ultimativen Geheimtipp: Lasst den Online-Dating-Schritt ganz weg. Liebe ist offline.
Liebe braucht Zeit
Beim Online-Dating geht es sofort zur Sache. Person gesehen, Profil hat gefallen, kein weiteres Nachdenken, die Zielperson wird kontaktiert und ist mit der Situation konfrontiert. Wohin die Reise genau gehen soll: so genau weiß man es nicht, aber auf jeden Fall geht es um eine nennen wir es „Mann-Frau-Sache“, und zwar eine „erfolgreiche“. Die Zielperson kann dem entweder zustimmen oder dichtmachen. Auch hier ist eine Entscheidung innerhalb weniger Minuten oder Stunden gefordert. Liebe Männer, soll ich euch ein Geheimnis verraten? Wenn auch nur der geringste Zweifel besteht, dann ist die Default-Antwort „Nein“. Und tschüss, auf Nimmerwiedersehen.
Ganz anders im Offline-Leben. In dem Moment in dem ich eine Person wahrnehme, kann ich nicht davon ausgehen, dass sie auf der Suche nach mir ist und ich würde nie auf die Idee kommen, ihr meine Wünsche darzulegen und sie vor eine Ja-Nein-Entscheidung zu stellen. Ich weiß, es ist jetzt das allerwichtigste, die Person einerseits nicht gehen zu lassen und andererseits nicht zu verschrecken. Das erfordert Fingerspitzengefühl. Eigentlich ähnlich wie bei einem wilden Tier. (Wie kommt der Mensch zu der Annahme, dass Konfrontation plötzlich funktionieren kann? Jede Katze würde kratzen oder weglaufen.)
Das heißt also, man muss etwas tun um die Person auf sich aufmerksam zu machen, um sie bei sich zu behalten und um sie wiederzusehen – alles, ohne dass es zu einer Konfrontation kommt, für die der andere noch nicht bereit ist, weil er ja seinerseits noch überhaupt nicht „It´s a match“ gedacht hat (wie kommt man überhaupt auf die Idee, dass es so einfach sein könnte? Wie oberflächlich muss man sein?).
Es geht also darum, Vorwände zu finden. Vorwände für jeden einzelnen Schritt. Warum man sich überhaupt unterhalten möchte, warum man sich wiedertreffen sollte, warum man Kontaktdaten braucht, warum man noch länger bleibt, warum man nebeneinander sitzen muss. Für alles! Dafür muss man einfühlsam und kreativ sein. Man muss Geduld haben. Das mag für manch einen der vielleicht online erfolgreich ist, wie unnötiger Zusatzaufwand erscheinen. Es heißt aber ganz im Gegenteil, das man mehr Zeit und mehr Möglichkeiten hat, beim anderen zu punkten. Ich glaube dass Liebe auf den ersten Blick die Ausnahme ist. Ich glaube dass die meisten Menschen, auch die schönen, noch mit viel mehr trumpfen können als mit ihrem Foto. Ich glaube Liebe muss wachsen. Liebe braucht Zeit.
Liebe heißt sich übereinander freuen
Neulich ging ich die Straße entlang und zwei Männer haben sich nach mir umgedreht. Made my day. Das gibt ein gutes Gefühl. Es ist beglückend, nicht nur für sich selber schön sein. Sondern auch für andere. Männer freuen sich über schöne Frauen. Frauen freuen sich über schöne Männer. Schöne Frauen auf der Straße, schöne Frauen im Büro, schöne Frauen im Supermarkt, schöne Frauen in der Bäckerei, schöne Frauen im Bus, schöne Frauen im Zug, schöne Frauen im Park. Überall gibt es schöne Frauen und überall gibt es schöne Männer. Und wir dürfen sie ansehen und genießen. Wir müssen uns nicht anmelden und keinen Mitgliedsbeitrag zahlen. Und wir werden nicht weggeklickt sodass das Foto verschwindet wenn wir nicht gut genug sind. Und umgekehrt merken wir, wenn sich andere über uns freuen. Selbst wenn sie nichts sagen, können wir es spüren. Online würden wir es nicht merken. Offline-Liebe heißt sein Gegenüber wahrnehmen.
Ich hätte es nicht gemerkt, wenn diese Männer mein Foto auf irgendeiner Plattform „geliket“ hätten. Doch, sagst du, ich hätte es auf Tinder gemerkt, weil es „ein Match“ gewesen wäre. Bullshit. Dafür hätte ich sie ja selber „liken“ müssen. Und, Vorsicht Ernüchterung: es gibt Männer, die alle Frauen „liken“. Warum? Damit sie es eben umgekehrt mitkriegen, wenn sie einer Frau gefallen. Sie legen quasi einen Köder aus und sichern sich jedes positive Feedback. Warum auch nicht. Das heißt aber eben umgekehrt, die Aussage ist Null. Die „Likes“ sind keine echten Likes, zu keinem Zeitpunkt hat jemand ehrlich reagiert auf etwas, das er schön fand, und damit wirklich etwas von sich preisgegeben. Alles nur Berechnung. Ernüchternd? Ja. Traurig? Ja. Denn was hat das denn mit Liebe zu tun?
Liebe heißt verschenken bevor man beschenkt wird.
Liebe ist das Gegenteil von Egoismus
Mir kommt vor dass Online-Dating zeigt, dass wir in einer Gesellschaft leben, die nicht nur aus Egoisten besteht, sondern diese Egoisten in ihrem Egoismus bestärkt. Dabei glaube ich nicht daran, dass Egoismus ein adäquates Konzept für erwachsene Menschen ist oder dass er zum Glücklichsein führt. Ich glaube nicht, dass es glücklich machen kann, bei den eigenen Bedürfnissen zu starten und die Welt nach Helfern abzuklappern, die diese Bedürfnisse erfüllen können.
Zu abstrakt? Hier gerne konkret: Aus einem Tinderprofil: „Wenn du ein Nasenpiercing trägst, wische nicht nach rechts.“ Man stellt sich einen Rockstar vor, der sich vor lauter Groupies nicht retten kann, und dem seine Mutter den Rat gegeben hat: „Überleg doch erstmal, was dir wirklich wichtig ist, damit du nicht immer wieder an die falsche gerätst“. Diese Person fängt mit ihren Wünschen an, und ist sicher erfolgreich damit, den Andrang unerwünschter Bewerberinnen zu reduzieren.
In der Offline-Welt ist es automatisch umgekehrt, schon weil erstens die Illusion eines unendlichen Pools an „Bewerberinnen und Bewerbern“ nicht besteht. Und weil zweitens, der nächste Schritt kein Wischen ist, und überhaupt keine Bewegung die man einem Affen auf der Suche nach Futter beibringen könnte, sondern all unser Können, unser Wissen, unsere Ressourcen und unseren Einfallsreichtum herausfordert. Wie kann ich den anderen wiedersehen? Wie kann ich ihn auf mich aufmerksam machen? Wie kann ich ihm mein Interesse signalisieren? Wischen? Wischful thinking.
Jemanden zu lieben, also mehr zu lieben als uns selbst, und einmal – ausnahmsweise! – an jemanden anderen zu denken als uns selber, ermöglicht es uns den Egoismus überwinden. Vielleicht fängt es an in dem Bedürfnis den anderen zu erobern. Doch um das zu tun müssen wir uns ihn ihn hineinversetzen. Uns in Empathie üben. Was könnte ihm gefallen? Was tut er? Wo hält er sich auf? Was treibt ihn um? Was ist ihm wichtig? Was hält ihn auf? Was blockiert ihn? Was könnte ihm helfen seine Ziele zu erreichen? Könnte ich etwas für ihn tun? Könnte ich diejenige sein, die ihn dahin bringt, wo er hin will? Könnte ich diejenige werden, in dem ich Fähigkeiten ausbaue, oder eigenen Restriktionen hinterfrage? (wäre ich bereit, ein Nasenpiercing zu entfernen oder zu tolerieren…). Und irgendwann findet man Antworten, was man tun kann, und ist neu inspiriert für großartige Projekte. Oder: man stellt fest, dass man nichts tun kann, weil alles was dieser Mensch braucht außerhalb der eigenen Möglichkeiten liegt, oder alles andere ist außer man selbst. Doch auch dann hört man nicht auf zu lieben. Dann fängt man erst an.
An den Menschen zu denken an dem man interessiert ist, kann wie eine Meditation sein. Ein Heraustreten aus sich selbst, eine Reise in die Welt außerhalb des Ichs, ein Eintauchen in tiefere Zusammenhänge, ein Perspektivenwechsel, eine Bergersteigung aus der man zurückblickt, zurück ins Tal, vielleicht sich selbst erblickt und sieht wie klein man ist. Und plötzlich erscheinen einem die eigenen Bedürfnisse weniger wichtig, vielleicht kindisch, vielleicht engstirnig, vielleicht irrelevant, in jedem Fall klein. Und dann kommt man zurück und öffnet die Augen und ist dankbar. Dankbar dafür dass man kein Tier ist und kein Kleinkind ist. Dass man nicht blind seine Finger nach jeder Süßigkeit ausstrecken muss und schreit wenn die Welt sie einem verwehrt. Sondern dass unser natürlicher Trieb, unser Verlangen nach dem Anderen uns als denkende Wesen nicht nach unten ziehen, sondern zu höherem führen. Zu höherem Bewusstsein, höheren Ambitionen. Liebe heißt den Egoismus überwinden.
Liebe heißt mutig sein
Man sagt, die Hemmschwelle jemanden anzusprechen sei auf Online-Dating-Plattformen niedriger. Das scheint so zu sein. Alles was man können muss um den ersten Schritt zu überstehen, ist nach rechts zu wischen oder auf einen Knopf zu drücken. Das ist sehr einfach. Aber ist das gut? Ist das männlich? Ist das sexy? Im realen Leben eine Frau anzusprechen oder generell den ersten Schritt zu wagen, erfordert Mut. Mut ist eine männliche Eigenschaft. Es ist eine Eigenschaft die ich und viele andere Frauen in Männern suchen. Wir wünschen uns einen Mann, der furchtlos erscheint. Nicht jemanden, der keine Angst hat, aber jemanden mit Sozialkompetenz, jemanden, der es schafft, seine Angst zu überwinden um die Dinge zu erreichen, die ihm wichtig sind. Dass er das kann, demonstriert er mit seinem ersten Schritt.
Umgekehrt, wie attraktiv ist ein Mann, der es nicht schafft, eine Frau anzusprechen? Im Wesentlichen gibt es drei Möglichkeiten. Die erste ist, er ist nicht interessiert. Nichts ist frustrierender als sich um Männer zu bemühen, die nicht interessiert sind. Nicht an der konkreten Frau, nicht an Frauen im Allgemeinen, nicht in dieser Lebensphase, nicht jetzt, wo er mit anderen Dingen beschäftigt ist – er ist einfach nicht bereit.
Frauen die arrogant genug sind, zu denken, dass jeder Mann an ihnen interessiert wäre, und sie, wenn sie nur den ersten Schritt machen, sich nur jeden nehmen könnten, sind selten. Womit wir bei der zweiten Alternative wären: Männer die denken, sie müssten nichts tun, um eine Frau zu erobern, weil das was sie unspezifisch an die Außenwelt senden, ihr Aussehen, ihr Name, ihre berufliche Performance, ihre gesellschaftliche Stellung, was auch immer, würde ausreichen, damit eine Frau sich um sie bemüht, die mögen damit tatsächlich in der heutigen Zeit, in der Frauen nicht mehr um ihren eigenen Wert wissen, partiell erfolgreich sein. Attraktiv und männlich ist es trotzdem nicht. Auf mich wirkt es selbstgefällig und arrogant.
Der dritte Grund warum ein Mann eine Frau nicht anspricht, ist, dass er sich nicht traut. Dass er seine Angst nicht überwinden kann. Dass er lieber verzichtet, als für das was er will zu kämpfen. Man fragt sich: wenn er es nicht schafft, mich anzusprechen, was schafft er dann? Was wird er tun, wenn andere mich ansprechen? Wenn mich jemand beleidigt? Wird er jemals zu seinem Arbeitgeber gehen, und sagen „Ich brauche ein höheres Gehalt, weil meine Frau ein Auto haben will?“ (eine größere Wohnung, einen Garten, mehr Schuhe, Urlaub in der Karibik – Frauen, habt ihr keine Wünsche? Männer, wollt ihr den Frauen die ihr liebt, keine Wünsche erfüllen?) Um etwas zu erreichen, braucht es Mut. Um eine Frau zu beschützen, muss man sich der Angst stellen können. Um sich im gesellschaftlichen Leben durchzusetzen, braucht es Sozialkompetenz. Traue ich dem Mann zu, dass er das leistet? Er kann das demonstrieren, in dem er eine Frau anspricht. Jede Frau weiß, dass das Mut erfordert, und jede Frau nimmt diesen Mut zur Kenntnis. Im Online-Dating demonstrieren Männer im ersten Schritt nur, dass sie auf eine Taste klicken können. Ich bin nicht beeindruckt. Liebe heißt mutig sein.
Liebe bedeutet Dankbarkeit
Einem Menschen zu begegnen ist für mich immer wie ein kleines Wunder. Es ist nichts, was man sich herunterladen kann, oder das man bestellen kann. Man kann es nicht für Geld kaufen.
Einem Menschen zu begegnen ist ein Geschenk. Und ein Geschenk hinterfragt man nicht. Man sagt nicht: ich wollte aber einen größeren haben. Undankbar! Man sucht nicht die Schwächen. Man kann es nicht umtauschen. Man kann sich nur jetzt in diesem Augenblick über die Begegnung freuen, und das meiste draus machen. Gemeinsamkeiten finden und sich daran erfreuen. Unterschiedlichkeiten entdecken und sie interessant finden. Grenzen ausloten und diese Grenzen respektieren. Möglichkeiten ausloten und diese Möglichkeiten wahrnehmen.
Muss ich konkreter werden? Der Mensch, der mit mir im Sprachkurs sitzt hat nicht die gleiche Augenfarbe wie mein Traummann. Online: Weiterwischen. Offline: Komplett irrelevant. Der Mann ist nicht so schlank wie ich es mir wünschen würde. Online: Weiterwischen. Offline: naja, vielleicht fühlt sich das ja gut an. Der Mann erzählt, er hätte gerade eine tolle Frau kennengelernt. Online: Weiterwischen. Offline: der Sprachkurs geht noch 3 Monate, da fließt noch viel Wasser den Fluss hinunter. Der Mann erzählt, er sammelt gerne Briefmarken. Online: weiterwischen. Offline: wie interessant, was fasziniert dich daran, erzähl mal! Der andere erzählt er geht gerne auf Konzerte, du auch. Online: tick, nächste Frage. Offline: Toll, da ist doch nächste Woche eins, lass uns gemeinsam hingehen!
Offline-Liebe heißt wachsam sein für alle fantastischen Chancen, die man in jedem Augenblick geschenkt bekommen kann.